Eröffnungsrede Propst Mag. Maximilian Fürnsinn, Stift Herzogenburg
1 – „Schöpfung“ – das ist bereits eine Positionierung
„Die Abende und die Nächte sind ruhig und einsam,
weil Gott sie für die Kontemplation geschaffen hat.
Die Wälder und die Wiesen, der Sternenhimmel sind geschaffen,
damit wir uns in sie versenken.
Die ganze Schöpfung schreit uns durchdringend an, mit einem großen Schrei,
von der Existenz und der Schönheit und der Liebe Gottes.
An jeder Straßenecke finde ich Briefe Gottes.
In der ganzen Natur finden wir die Initialen Gottes, und alle erschaffenen Wesen sind Liebesbriefe Gottes an uns.“
Ernesto Cardenal
Das ist ein Text des südamerikanischen Befreiungstheologen Ernesto Cardenal.
Lange Zeit galten diese Naturlyrik und die „schönen Bilder der Natur“ als Domäne
romantisch – sentimentaler Vorstellungen. Im Gegensatz zu Geschichte und Politik galt das Naturerlebnis als zeitlos und unverbindlich, als Reservat unpolitischer Innerlichkeit.
Das hat sich gewandelt. Natur und Schöpfung stehen heute wieder ganz im Zentrum des Interesses: in Politik und Forschung, in Wissenschaft und Kunst, in Ethik und Theologie.
Denn wir werden heute systematisch aus dem Paradies der Schöpfung vertrieben:
Denn der Mensch avanciert immer mehr zum Maß der Dinge: alles andere verliert an Bedeutung.
Früher war die Welt noch voll an „Spuren Gottes“ – heute finden wir überall nur mehr die „Spuren des Menschen“.
Welt und Natur werden nur mehr nach ihrem Nutzen beurteilt. Der Mensch ist der Herr und Besitzer von allem.
Natur wird zum Gebrauchsgegenstand und zum Steinbruch für die Interessen des Menschen.
Auch die Religion hat diese Entwicklung gefördert, indem sie in einer Art Schöpfungsvergessenheit die Erfahrung Gottes auf das persönliche Innere des Menschen reduziert hat.
Heute bedroht die Krise im Umgang mit Schöpfung und Natur den Menschen selbst: der Lebensraum des Menschen ist bedroht, eine Überflusskultur beutet alles aus und diese fundamental-utilitaristische Haltung zerstört immer mehr.
Wir kommen immer mehr aus dem Gleichgewicht.
Wir müssen wieder zu einer tieferen Sicht der Schöpfung zurückkehren:
Schöpfung ist der Leib Gottes.
Wir brauchen heute wieder eine vertiefte Spiritualität der Schöpfung gegenüber:
Sie beginnt mit der Erkenntnis, dass wir nicht die Schöpfer, sondern Geschöpfe sind.
Wir brauchen wieder Ehrfurcht und Staunen der Schöpfung gegenüber.
Es gilt, den Glanz der geschaffenen Dinge wieder zu sehen.
Die Schöpfung ist nicht einfach „da“, wie ein Haufen Material, sondern sie ist erwartet, gewünscht, geboren aus Gott – wie ein Kind.
Eine Spiritualität der Schöpfung schenkt uns wieder eine neue Wahrnehmungsfähigkeit, die heute kein elitärer Luxus ist, sondern eine Notwendigkeit für das Überleben der Menschheit.
Das lässt uns auch wieder den Schöpfungsdank entdecken, den Dank an den Schöpfer. Man kann eigentlich Gott nicht lieben, wenn man kein Gespür für Schönheit und Dank hat.
2 – Christine Huber: Bilder der Schöpfung
In diese Schöpfungsfaszination führt uns der neue Bilderzyklus von Christine Huber. Da haben Sie eine Schöpfungsmeditation vor sich.
Ich durfte schon einige Ausstellungen von Christine Huber eröffnen. Jedesmal überraschte sie mit einer völlig neuen Bilderwelt.
So auch diesmal:
Wieder ganz anders;
Diesmal Acryl – kombiniert mit Tusche, Ölstiften, Kupfer usw.
Und für mich sind alle diese Bilder „meditativ, gesammelt, spirituell“.
Christine Huber sagt selbst: Diese Bilder kommen aus dem Speicher ihrer Seele. Hier setzt die Kraft der Verwandlung ein: diese Bilder sind Schöpfungsakte aus der Natur, die im Atelier zu Schöpfungsgeschichten verwandelt werden. Also Bilder gespeicherter Erinnerungen.
Die Bilder dieser Ausstellung werden der biblischen Schöpfungsgeschichte zugeordnet:
D.h. es wurde nicht mit der Bibel in der Hand nach Motiven gesucht und gemalt – sondern das Schöpfungsgeheimnis, der Schöpfungsmythos, den wir alle unbewusst in uns tragen, hat sich in diesen Bildern niedergeschlagen. (Der Mythos wurde Bild).
Gehen wir also dem Schöpfungsgeschehen und den Bildern ein wenig nach.
Die 6 Schöpfungstage der Bibel sind kein wissenschaftliches Konzept, sondern sie sind bereits Bilder. Die Bibel hat eine theologisch-poetische Sprache in der Schöpfungserzählung und diese Sprache kommt der Kunst entgegen. Sie ist eine Sprache des Vertrauens. Deshalb liegt im Schöpfungsglauben ein Sich-zu-Hause-Fühlen. Solche Grundgefühle konstituieren das Weltvertrauen.
Aber nun zu den Bildern!
Die ersten drei Bilder beschreiben den Beginn der Schöpfung:
Das 1. Bild:
Licht und Finsternis.
Das 2. Bild zeigt die Welt von oben – aus der Kosmonautenperspektive.
Dieses Bild verweist auf etwas ganz Entscheidendes im Schöpfungsgeschehen:
dass nämlich aus dem Chaos Kosmos wird.
Diese ordnende Kraft ist als bleibendes Prinzip und als bleibender Prozess
der Schöpfung eingestuft.
Das 3. Bild thematisiert die eigentliche schöpferische Kraft: den Geist.
ER schwebt über den Wassern. Hier blitzen die Funken des Geistes auf.
Schöpfung ist – wie Leben, Lebendigkeit, bunte Vielfalt – ein Geschenk des Geistes.
Die folgenden Bilder greifen das Entstehen von Himmel und Erde auf:
4. Gott erschuf den Himmel.
Sie kennen alle das berühmte Fresko von Michelangelo in der Sixtinischen Kapelle
des Vatikans. Wenn Sie Bild 4 ansehen, so erinnert es an den Moment der
Lebensübergabe von Gott an den Menschen –
zwei Finger berühren einander zärtlich und der Funke des Lebens springt über.
Herr des Lebens ist Gott – und ER bleibt es. Leben ist und bleibt Geschenk.
5., 6., 7., 8. zeigen das Werden und die Trennung von Himmel, Erde und Wasser.
Das wird in drei sehr schönen – aber unterschiedlichen Meeresbildern gezeigt:
Einerseits das Meer bei Samos in Griechenland – und andererseits das ganz andere
Meer der türkischen Ägäis.
Das alles wird vom Himmelsgewölbe 8 mit seinen Lichtern überspannt.
Dann folgt eine Bilderfolge, die der Entstehung und Entfaltung der Erde zuzuordnen sind:
Sie suggerieren Fruchtbarkeit, Erdiges, Vitales, Schoß und Leben ermöglichen.
Christine Huber unterstreicht die Verwandtschaft von Frau und Erde.
9., 10., 11. Befassen sich mit diese Erde und denken die
Assoziation mit dem Weiblichen an.
9. zeigt Erde, Land, Wasser, Tiere – lebendige Wesen aller Art.
10. zeigt die Mutter Erde, den erdigen Ackerboden – in den ein
Frauenakt hineingeritzt ist.
11. Überhöht wird dieser Zyklus Erde von einer Blumenwiese, die in ihrer Buntheit
kaum zu übertreffen ist.
Aber nun zum Finale!
12. Der Mensch ist die Krone der Schöpfung.
Für dieses letzte Bild hat sich Christine Huber von Goya inspirieren lassen, und zwar
von seinen „schwarzen Bildern“ (pinturas negras).
Sie können hier nicht unterscheiden, ob es ein Mann oder eine Frau ist.
Es ist der Mensch. Es ist der Mensch im brennenden Leid.
Es ist der Mensch im verlorenen Paradies.
Aber – und damit möchte ich diese Bildmeditation beschließen – es zeigt sich über diesen Menschen Licht, Gnade oder das Erbarmen Gottes.
Das bedeutet Hoffnung!